Killers in Aviation
von BIRGIT WENNHOLZ-NIENBECKER
Start und Landung sind die Phasen eines Fluges, in denen die meisten Unfälle
passieren, in der Verkehrsluftfahrt ebenso wie in der Allgemeinen Luftfahrt. Den
meisten Approach-and-Landing-Accidents geht eine Kette von Fehlhandlungen
voraus, wie eine Studie der Flight Safety Foundation von 1999 beweist. Äußeren
Bedingungen wie z.B. schlechte Sicht oder kontaminierte Bahn kommt bei
Landeunfällen nur eine untergeordnete Bedeutung zu.
Wie kommt es zu den Fehlhandlungen? Wo lauern die Killer? Sind die Erkenntnisse
auf die General Aviation übertragbar?
Allen beobachteten Faktoren gemeinsam ist, daß sie die menschliche Komponente
betreffen. In der Anflugphase kann vielfach nicht so präzise gearbeitet werden,
wie es dem Idealfall entspricht. Offensichtlich sind diese Abweichungen vom
Idealverhalten auf die hohe Arbeitsbelastung im Cockpit während der
Landevorbereitungen zurückzuführen.
Viele Aufgaben - wenig Zeit
Die Arbeitsbelastung im Cockpit ist in der Start- und Landephase deswegen sehr
hoch, da in kurzer Zeit eine Vielzahl von Aufgaben bewältigt und schnelle
Entscheidungen für die eine oder andere Handlungsalternative getroffen werden
müssen. 'Fehlerproduzierende Begleitumstände' wie z.B. Müdigkeit oder
unzureichendes Training erhöhen die Arbeitsbelastung noch, da die notwendigen
Handlungen langsamer ausgeführt werden. Bei Müdigkeit läßt die Konzentration
nach und der 'rote Faden' der Landevorbereitungen wird nur allzu leicht aus den
Augen verloren.
Checklisten dienen zwar dazu, die Einhaltung des 'roten Fadens' zu unterstützen,
aber wenn die Zeit knapp wird, kommt es nicht selten dazu, daß Checklistenpunkte
ausgelassen werden. Unzureichende Crew Coordination
Die ohnehin hohe Arbeitsbelastung im Cockpit wird durch unzureichende Crew
Coordination noch weiter erhöht. Durch Mißverständnisse und nicht abgestimmte
Arbeitsteilung geht wertvolle Zeit verloren. Es kommt vor, daß in der Hektik der
Blick auf die Bordinstrumente vernachlässigt wird und dadurch falsche
Geschwindigkeiten und unangemessene Sinkraten sowie Abweichungen vom Gleitpfad
nicht bemerkt werden. Die Folge ist, daß die aktuelle Position und die Lage im
Raum nicht mehr gegenwärtig ist. Bei vielen CFIT-Unfällen (Controlled Flight
into Terrain) kommt als 'Krönung' hinzu, daß auch dem letzten Hilfsmittel, dem
GPWS-Alarm keine Beachtung mehr geschenkt wird, weil aufgrund der Unkenntnis der
aktuellen Position nicht mehr realisiert wird, daß dieser Alarm keine
Fehlfunktion des Gerätes, sondern eine echte Warnung darstellt. Aber auch
fehlerhafte Eingaben in das Flight Management System oder den Autopiloten werden
durch schlechte Kommunikation im Cockpit nicht gegengecheckt und somit auch
nicht bemerkt. Schlechte Kommunikation
Aber nicht nur die Kommunikation im Cockpit leidet aufgrund der Eile, auch die
Kommunikation mit ATC kommt zu kurz bzw. bricht vollkommen zusammen. ATC wird in
vielen Fällen nicht darüber informiert, daß eine bestimmte Freigabe eine erhöhte
Arbeitsbelastung im Cockpit verursacht. Durch die fehlende Bestätigung an der
MDA/DH, die 'runway in sight' zu haben, besteht Unklarheit darüber, ob der
Anflug sicher fortgesetzt werden kann. ATC hat dadurch keinen Überblick über die
Situation an Bord und kann diese auch im Vergleich zu anderen
Luftverkehrsteilnehmern nicht ausreichend einschätzen. Zu späte Entscheidungen
In der letzten Phase der Landung fallen schließlich aufgrund des immer enger
gewordenen Zeitfensters Entscheidungen zu spät, wie z.B. notwendige
Konfigurationsänderungen (Landeklappen, Fahrwerk), Anpassung der Geschwindigkeit
oder auch Bremsmanöver beim Ausrollen.
Druck durch das Management
Eine weitere Belastung stellt sicherlich auch der Druck durch das Management
dar. Ein Go-Around kostet Zeit und somit auch Geld. So kommt es häufig dazu, daß
Anflüge zum Zielort trotz sich verschlechternden Wetters oder Konditionen unter
den Anflug-Minima fortgeführt werden, stark fordernde ATC-Freigaben angenommen
oder von einem ILS-Anflug umgestellt wird auf einen non-precision-Approach, um
Zeit zu sparen.
Gerade vor dem Hintergrund drohender Unannehmlichkeiten am Boden
(wirtschaftlicher Druck, Druck, den Flug innerhalb der Duty-Time durchzuführen,
rechtzeitige Bereitstellung der Maschine, Landung innerhalb der Betriebszeiten
des Flughafens, Landung bis Sunset bei VFR-Fliegern) ist ein solches Verhalten
nur allzu menschlich. Die wirtschaftlich beste und gleichzeitig sichere
Handlungsalternative auszuwählen ist in der Eile auch sicher nicht einfach. Aber
daß die für die Airline vermeintlich wirtschaftlichste Alternative für das
Unternehmen auch rufschädigend wirken und für die weiteren Beteiligten alles
andere als sicher enden kann, hat spätestens die Bruch-Landung der Hapag Lloyd-
Maschine in Wien gezeigt, die wegen Fahrwerksproblemen unbedingt in
reparaturfreundlichere Gefilde gebracht werden sollte, die Bahn in Wien jedoch
zuletzt wegen Treibstoffmangels im Segelflug ansteuerte und knapp verfehlte. Für
Passagiere und Besatzung war diese Entscheidung sehr unsicher und ob sie
letztendlich wirtschaftlicher war ist überaus fraglich. Man spricht in solchen
Fällen auch von Press-on-itis. Das bedeutet, einen Anflug konsequent
fortzusetzen, obwohl die äußeren Umstände, die aktuelle Situation im Cockpit
oder die Anflugparameter des Flugzeugs nicht mehr passend sind. Auch bei
Privatpiloten kann man dieses Verhalten beobachten ('paßt scho...'), ein jeder
kann sich selbst einmal kritisch an die Situation erinnern, an der er nicht auch
besser einen Go-around hätte durchführen sollen. Probleme beim Handling der Maschine
Probleme beim Handling der Maschine sind ebenfalls ein Unfallfaktor. Sie
resultieren nicht ausschließlich aus der durch die Crew erzeugten
Streßsituation, einem übereilten Anflug oder unangemessenem oder falschem
Gebrauch der Bordsysteme. Diese Probleme werden auch durch äußere Umstände, wie
z.B. asymmetrischer Schub, starker Rückenwind, Seitenwind, Turbulenzen, Böen
oder durch einen Strömungsabriß während eines Ausweichmanövers oder eines Go-
arounds hervorgerufen und bringen 'das Faß zum Überlaufen', wenn die
Landevorbereitung ohnehin bereits von Problemen durchzogen sind. Allerdings sind
diese Faktoren in der Verkehrsluftfahrt selten der eigentliche Auslöser für eine
mißglückte Landung.
Und wie sieht der Punkt 'Handlingprobleme der Maschine' in der Privatfliegerei
aus? Führt nicht auch hier Selbstüberschätzung, mangelndes Training und falscher
Stolz dazu, daß das Handling der Maschine in einigen Situationen Probleme
bereitet? Empfehlungen der Flight Safety Foundation
Die Flight Safety Foundation (FSF) hat als Fazit aus dieser Studie Empfehlungen
formuliert. Im Mittelpunkt steht dabei die dringende Empfehlung, jegliche Hektik
bei den Landevorbereitungen zu vermeiden. Zunächst müssen sich die Piloten die
k.o.-Kritierien ins Bewußtsein rufen, die einen rechtzeitgen Go-Around bei dem
jeweiligen Anflug erfordern. Gute Planung hilft, einen überhasteten Anflug zu
vermeiden. Besondere Aufmerksamkeit sollte im internationalen Flugverkehr der
Kommunikation mit ATC entgegengebracht werden.Wichtig ist dabei der Gebrauch
der ICAO-Phraseologie (und zwar von beiden Seiten), um zeitraubende
Mißverständnisse zu vermeiden. Es ist dringend geboten, den Controller darüber
zu informieren, wenn die erteilten Freigaben eine übermäßige Arbeitsbelastung im
Cockpit darstellen und hinsichtlich der Sicherheit Kompromisse eingegangen
werden müßten. Nur wenn die Flugsicherung über die aktuelle Situation im Cockpit
informiert ist und der Pilot zweifelsfreie Anweisungen oder Informationen
erhält, ist eine effektive Zusammenarbeit möglich.
Die FSF rät, nicht nur das notwendige Anflugbriefing unbedingt vollständig
durchzuführen, sondern ebenso eine Risiko-Analyse. Hierzu hat sie besondere
Checklisten herausgegeben, die im ALAR Toolkit (Approach-and-landing Accident
Reduction) zusmmengefaßt sind.
Risk Awareness Tool
Das Risk Awareness Tool ist eine spezielle Auflistung von Checkpunkten, mit
denen die Risiken des jeweiligen Anfluges noch einmal deutlich gemacht werden
sollen. Die zu vergegenwärtigenden Punkte betreffen Flight Crew, Airport Service
und Equipment, expected Approach (z.B. nonprecision), Environment, Aircraft
equipment. Die Punkte sollten, so die Empfehlung der FSF, in das Standard-
Anflug-Briefing integriert werden. Jeder Punkt ist mit einer Risikobewertung
versehen. Je größer die Summe aller Einzelbewertungen ist, deso größer das
Risiko des Anfluges. Die Besatzungen sollten sich dieser verschiedenen
Risikofaktoren bewußt sein und auf die eventuelle Einleitung eines Go-arounds
bzw. einer missed-approach-procedure vorbereitet sein. Die Liste enthält
ebenfalls Empfehlungen für einen stabilisierten Anflug.
http://www.flightsafety.org/pdf/fsf_rat.pdf (ALA Risk Awareness Tool) Approach-and-landing Risk Reduction Guide
Mit dieser Checkliste sollen alle Prozesse des Flugbetriebs geprüft werden. Sie
ist für verschiedene Adressaten unterschiedlich zugeschnitten. Teil 1 für den
Flugbetriebsleiter/Chefpiloten zur Überprüfung des Flugbetriebs und des
Trainings, Teil 2 für Dispatcher und Flugplaner (Scheduler), Part 3 für Flight
crews zur Überprüfung, ob Trainingsschwerpunkte und Unternehmensgrundsätze
verstanden wurden, Part 4 für Chefpiloten und Linienpiloten hinsichtlich der
Prozesse im Cockpit. Aus allen nicht abgehakten Punkten ergibt sich
entsprechendes Verbesserungspotential.
http://www.flightsafety.org/pdf/alar_guide.pdf (ALA Risk Reduction Guide)
Das Merkblatt 'Safety Alert' gibt Verhaltenshinweise bei GPWS-Warnungen des
Bord-Systems.
http://www.flightsafety.org/pdf/Alert.pdf (Merkblatt 'Safety Alert') CFIT Checklist 'Evaluate the Risk and Take Action'
Diese Checkliste soll dabei unterstützen, das CFIT-Risiko abzuschätzen. Sie ist
unterteilt in folgende Abschnitte: Part 1: Kalkulation des CFIT-Risikos für
jeden Flug, Sektor, Leg. Part 2: CFIT Risk Reduction Factors, zur Überprüfung
von Unternehmenskultur, Flight Standards, Gefahrenpotentiale und Training,
Ausrüstung des Flugzeugs. In Part 3 wird die Gesamtsumme des ermittelten
Risikopotentials gebildet.
http://www.flightsafety.org/pdf/cfit_check.pdf (CFIT Checkliste)
Aus den Ergebnissen der Studie wird deutlich, daß zur Bewältigung der
Arbeitsbelastung im Cockpit nicht nur die Ausbildung/das Training der Piloten
eine bedeutende Rolle spielt, sondern auch der Charakter. Sowohl in der
Verkehrs- als auch in der Privatluftfahrt müssen in der Anflug- und Landephase
in kurzer Zeit die richtigen Entscheidungen gefällt werden. In der
Verkehrsluftfahrt kommt dabei der Zusammenarbeit beider Piloten im Cockpit und
dem Umgang mit den Bordsystemen eine große Bedeutung zu. Aber auch die
konsequente Anwendung standardisierter Verfahren, sowohl bei den
Anflugvorbereitungen als auch in der Kommunikation tragen wesentlich zu einer
Entlastung bei.
Gerade diesem Punkt sollte in der Privatfliegerei mehr Beachtung
geschenkt werden. Eigene Anflugverfahren zum bekannten Flugplatz erschweren die
Umstellung auf einen Anflug in fremden Gefilden sehr und tragen zu einer
erhöhten Belastung in solchen Situationen bei. Nicht standardisierte
Kommunikation zwischen Pilot und ATC kostet nicht nur eigene Zeit und führt zu
Mißverständnissen, sondern verzögert auch die Kommunikation anderer Piloten mit
dem Controller. Diszipliniertes und verantwortungsvolles Verhalten ist somit ein
Muß für jeden Piloten.
Killers in Aviation
Special FSF-Report 1999
Es wurden 287 Approach-and-Landing-Accidents mit Flugzeugen
über 5,7 to zwischen 1980 und 1996 untersucht, 76 Fallstudien zu Unfällen und
schweren Zwischenfällen in der Luftfahrt ausgewertet sowie die Schlüsselfaktoren
im Crew-Verhalten aus 3.300 Checkflügen ermittelt. Was führt zu Approach-and-Landing-Accidents?
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