Desinfektion.
Auf deiner Stirn sitzt ein Insekt. Ist es gefährlich? Man weiß es nicht genau...
Also muss es da weg. Schnell den Hammer aus der Werkzeugkiste geholt, und
drauf... Ein Entomologe hätte schnell erkannt, dass es sich um eine wenig
gefährliche Schwebfliege gehandelt hat, aber kann man von mir erwarten, dass ich
mich in der Insektenkunde auskenne? Neulich ist jemand von einer Schwarzen Witwe
gebissen worden, zuerst wurde er immer schwächer, brach dann zusammen und starb.
Das hätte ja jetzt wieder passieren können! Gut, das Insekt hier war viel
kleiner, aber weiß man's..? Nur dumm, dass jetzt dein Kopf ziemlich schlimm
aussieht... Aber immerhin bist du nicht gebissen worden!
Ich sollte mir Gedanken machen, wie ich verhindern kann, dass dich zukünftig
wieder mal so in Insekt bedroht. Am besten, es gäbe überhaupt keine mehr!
Auf dem Balkon sitzt ein Spatz. Und macht Krach. Eigentlich sind Spatzen ja
nicht wirklich gefährlich, aber dieser hier hat so einen verschlagenen
Ausdruck... Ich hole meine Kanone aus dem Schuppen und schieße ihn ab. Und den
Balkon. Aber ich habe wenigstens reagiert!
Wenn ein Mensch sich von etwas bedroht fühlt, was er nicht kennt und nicht
einschätzen kann, wehrt er sich, das ist seit Anbeginn der Menschheit so. Aber
der gesunde Menschenverstand hat einen Mechanismus, der als 'Verhältnismäßigkeit
der Mittel' sogar in unsere Gesetzbücher eingezogen ist. Und das hat seinen
Ursprung beileibe nicht im Mitgefühl, sondern in der Einteilung der zur
Verfügung stehenden Kräfte, oder, wie man heute sagt: in der Schonung von
Ressourcen.
Der gesunde Menschenverstand kann allerdings Schaden nehmen. Zum Beispiel durch
eine böse Infektion. Und es sind leider viele infiziert. Von einem Virus, der
vor gut vierzehn Monaten freigesetzt wurde. In New-York.
Seit damals bringt alles, was fliegt, insbesondere, wenn sich das Fliegende über
von Menschen besiedelten Gebieten abspielt, die Bevölkerung um den Schlaf. Und
seit vergangenem Sonntag Politiker und andere Entscheidungsträger offenbar auch
um den Verstand. Sie sind tatsächlich bereit, mit Kanonen auf Spatzen zu
schießen...
Es hat sich leider bewahrheitet, was ich vor gut einem Jahr an dieser Stelle
schon geschrieben habe: Die Auswirkungen von 9/11 ziehen viel weitere Kreise.
Sie haben die halbe Menschheit mit einer Phobie infiziert, für die es sicher
bald auch einen Namen geben wird. Aber unglücklicherweise noch keine Therapie.
Alle Verantwortlichen hatten inzwischen mehr als ein Jahr Zeit, sich impfen zu
lassen: Sachkundig zu machen oder machen zu lassen, welche Bedrohung von welcher
Art Luftfahrzeug ausgehen kann und wie man Missbrauch wirkungsvoll und
praktikabel erschweren kann. Das Patchwork der Maßnahmen und der Ergebnisse ist
grotesk.
Um sich bei einer Infektion vor einer ausbrechenden Krankheit zu schützen, gibt
es die Desinfektion. Die muss allerdings möglichst zeitnah und vor allem mit den
richtigen Mitteln erfolgen. Dafür war allerdings neben dem blinden Aktionismus,
der an den Tag gelegt wurde, kein Raum mehr... die Ressourcen reichten nicht...
Und so müssen wir leider lernen, mit den infizierten Zeitgenossen und ihren
Umtrieben umzugehen.
Euer
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